Was uns das Gesicht des Pferdes über dessen Schiefe verrät

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„Ich seh‘ dem schon am Gesicht an, dass der sich nicht nach links stellen lässt.“ Magische Fähigkeit oder doch nur genaues Hinschauen?

Wenn ich schon so frage, dann vermutlich Letzteres. Aber keine Sorge, du brauchst keinen Röntgenblick, du musst nur wissen, wohin du schaust. Die meiste Muskulatur im Gesicht unseres Pferdes dient dem Kauen von Futter. Werfen wir also mal einen genaueren Blick auf den Kopf unseres Pferdes und dessen Kaumuskulatur.

Knochen

Vereinfacht gesprochen besteht der Pferdekopf aus drei Knochen: Schädel, Unterkiefer und Zungenbein. Allerdings ist der Schädel kein starres Gebilde, sondern besteht aus untereinander beweglichen Knochenteilen, die zusammengewachsen sind. Einige davon kennen wir auch aus dem Sprachgebrauch wie das Jochbein oder das Nasenbein.

Kaumuskulatur

Wir wollen uns zwei Muskeln genauer ansehen, die beide zum Kauen und Schließen des Mauls dienen.

M. masseter – Äußerer Kaumuskel

Er ist der größte und stärkste Kaumuskel des Pferdes und verläuft vom Jochbein aus großflächig über den Unterkiefer. Er zieht also den Oberkiefer gegen den Unterkiefer.

M. temporalis – Schläfenmuskel

Der Schläfenmuskel füllt die Schläfengrube in der Nähe des Kiefergelenks aus. Er hebt dabei den obersten Teil des Unterkiefers gegen den Schädel an.

Oben: Schläfenmuskel, Unten äußerer Kaumuskel
Danke an die 26-jährige Lady 🙂 Beim älteren bzw. vollblütigeren Pferd kann man die Kuhle in der sich der M. temporalis befindet besser sehen (grün) und zwischen den beiden hellblauen Linien befindet sich der M. masseter.

Praxis

Was bringt uns jetzt denn das Wissen über die Muskeln und Knochen?

Verschnallung von Nasenriemen

Nasenriemen sollten korrekt verschnallt werden. Dieser Aussage würde zwar kaum jemand widersprechen, dennoch sieht man massenweise falsch verschnallte Nasenriemen. Warum ist das denn überhaupt wichtig?

Der Bereich des Nasenbeins ist äußerst empfindlich. Schließlich verläuft hier kaum Muskulatur und jegliches Equipment drückt auf die Knochenhaut. Dass dieser Druck unangenehm sein kann, weiß jeder, der sich schon mal das Schienbein angeschlagen hat. Außerdem hat es am Schädel einige Nervenaustritte und Blutgefäße, die ebenfalls nicht gequetscht werden sollten. Insbesondere geht es dabei um den Nerv, der Haut und Muskulatur des Nasenrückens, die Schleimhaut der Nasenlöcher und die Sinneshaare der Oberlippe versorgt. Ebenfalls ist er an der Innervierung der Backen- und Schneidezähne beteiligt.

Also nochmal zur Erinnerung: zwei Fingerbreit unterhalb des Jochbeins und so weit wie möglich oben am Nasenrücken liegt der Nasenriemen.

Pfeil = Ende des Jochbeins, darunter müssen 2 Fingerbreit Platz sein bis zum Nasenriemen.
Auch beim Kappzaum (und natürlich auch bei einer Trense) sollten Backenstück und Nasenriemen annähernd einen rechten Winkel bilden.

Empfindliche Kaumuskulatur

Streichen wir den M. masseter entlang und das Pferd reagiert mit Kopfschlagen oder zieht den Kopf weg, ist dies ein Hinweis darauf, dass entweder der M. masseter deutlich verspannt ist oder dass sich Kanten an den Backenzähnen gebildet haben. Manchmal sind diese so ausgeprägt, dass man die Kanten tatsächlich von außen tasten kann. Dann wird es höchste Zeit für den Zahnarzt.

Einseitige Ausprägung der Kaumuskulatur

Betrachten wir die beiden Kaumuskeln von oben, so treten bei vielen Pferden minimale Unterschiede in der Bemuskelung zwischen rechts und links auf. Jedes Pferd hat eine Lieblingskauseite. Das ist auch ganz normal so. Der Unterkiefer eines Pferdes ist deutlich schmaler als der Oberkiefer und so wird zur gleichen Zeit immer nur auf einer Seite gekaut.

Kaut ein Pferd aber vermehrt nur noch auf einer Seite, weil die Bewegung auf der anderen weh tut, bildet sich auch entsprechend die Muskulatur aus. Eine Seite wird dicker, die andere dünner. Das kann grundsätzlich zwei Ursachen haben:

a) das Problem kommt von innen: Haken oder Kanten an den Zähnen, Zahnfleischtaschen etc. –> Zahnarzt

b) das Problem kommt von außen: Bissverletzungen oder Anschlagstraumen, z.B. durch Rangeleien an der Heuraufe –> Physiotherapeut

Ganz wichtig: Welche Konsequenz hat dies für das Reiten? Das Pferd lässt sich zu einer Seite nicht mehr gut stellen.

Machen wir ein Experiment, um dies selbst mal nachzuempfinden. Spielen wir also einmal Pferd 😉

  1. Setze oder stelle dich aufrecht hin.
  2. Drehe deinen Kopf nach links und rechts. Merke dir, wie weit du gekommen bist.
  3. Verschiebe jetzt deinen Unterkiefer auf die linke Seite und schließe dann die Zähne.
  4. Drehe deinen Kopf nun nochmal nach links und rechts. Wie weit kommst du im Vergleich zu vorher? Wie leicht fühlt sich die Bewegung an?

Also wenn der Kiefer nach links verschoben ist, dann ist die Muskulatur links mehr ausgeprägt, dann geht die Drehung nach links leichter, nach rechts wird’s etwas schwerer. Genauso geht es dem Pferd auch in der Stellung. Und so einfach geht der Röntgenblick 😉

Aufgaben zum Mitnehmen

a) Schau dir also dein Pferd einmal genau von vorne an. Ist die Muskulatur rechts und links gleichmäßig ausgeprägt?

b) Streiche rechts und links einmal über die Kauleiste deines Pferde. Reagiert es unwillig?

c) Überprüfe deine Ausrüstung: Liegen die Nasenriemen von Trense, Kappzaum und Co. korrekt?

Viel Spaß beim Ausprobieren!

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